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Orthopädie-Technik im KIRAN-Village, Madhopur, Varanasi

Das Kiran-Village liegt in der Provinz Uttar Pradesh (UP) im Nordosten von Indien. UP hat ca 250 Millionen Einwohner und rangiert im HDI Index auf Platz 169 (wie Congo)
HDI = Human Development Index. Nicht nur die Armut als Hungerfaktor ist hier gewertet, sondern auch der Zusammenhang von Bildung, Hygiene, Impfungen etc.

Ein Kinderdorf mit täglich weit über 200 Kindern, davon ca 2/3 behindert, etwa 60 Kinder wohnen im Village, in Grossfamilien, die kleineren und die grossen Mädchen als je eine Familie, die Knaben im nahegelegenen Boys-hostel, 2 Fussminuten entfernt. Die auswärts in den Dörfern lebenden Kinder werden täglich von eigenen Schul-Bussen ins KIRAN und wieder zurück befördert. Grössere behinderte Jugendliche, welche der KIRAN Grundschule entwachsen sind und an der Universität studieren, wohnen in der Stadt Varanasi in einem betreuten Kiran-eigenen Haus.

Obwohl ich letztes mal, des Zählens müde, angekündigt habe, dass ich meine Coachingeinsätze als Orthopädist im KIRAN nicht mehr zähle: es war mein 9.Einsatz mit Theorielektionen, praktischer Unterweisung und Mitarbeit in der Orthopädie-Werkstatt (O&P). Die praktischen Instruktionen beinhalten, auch nach 4 Jahren immer noch, die Organisation von eigenem Arbeitsplatz, - des Tages und der Woche. So starten wir zusammen um 09.00 Uhr nach „Swiss Time“, was heisst: pünktlich. Der „Second in Charge“ also der Stellvertreter des Werkstattchefs zählt die anstehenden Arbeiten auf und fragt in der kleinen Runde, wer wem helfen kann oder Kapazitäten hat um Reparaturen etc ausführen zu können. Der „Second in Charge“ kam durch Heirat zu seinem „Titel“. Ein Inder der heiratet möchte in der Regel auch automatisch in seiner Arbeit aufsteigen. Da ich die Aufgaben des Werkstattchefs sowieso etwas aufteilen bzw. entlasten wollte, kreierten wir diese Semikaderstelle. Und es funktioniert!

01-kiranbericht

Der Start diesen Oktober wurde durch die Visaverweigerung an unsere 2 neuen Orthopädisten-Zivildienstler überschattet. Philipp, der im Sommer 2011, und Dominik welcher im 2009 seine LAP abgeschlossen hatte mussten mit samt ihren gepackten Koffern zuhause bleiben. Die Botschaft hat es nicht mal für nötig befunden, eine Begründung mitzuliefern. Die traurige Bilanz somit: anstelle 2er ZIVI’s in Indien – 2 Arbeitslose in der Schweiz und ein geforderter Berufsschullehrer welcher die Arbeiten welche den ZIVI’s zugewiesen worden wären auch zu erledigen versucht. Auch unsere indischen Kollegen und Freunde bedauerten, dass ich diesmal keine jungen Schweizer im Schlepptau hatte. Wir arbeiten daran - ein Botschaftsbesuch in Bern durch unsere Gründerin und Leiterin Sangeeta Judith Keller ist im November geplant.
Dafür kam aber mein Freund Kalle, Konditormeister a.D. mit, um in der Bäckerei des KIRAN ein paar Ideen einzubringen. Nach seinem ersten Kulturschock hat er tolle Arbeit geleistet mit dem Bakeryteam. Neue Backwaren ausprobiert bis zur Produktionsreife, Rezepte überarbeitet, und festgehalten, was klimabedingt unbedingt zu unterlassen sei. (Torten mit Rahm, Glacé etc) Auch wegen mangelnder Zuverlässigkeit der Elektrizitätsversorgung (Kühlschrank!) sind Experimente vorsichtig anzugehen, um Mägen von Kunden nicht zu strapazieren. Der Schwerpunkt meiner Arbeiten und Instruktionen galt diesmal mehrheitlch (aber nicht ausschliesslich) der Beinprothetik. Auf die Auswahl der Patienten habe ich keinen Einfluss. Diese werden bei Besuchen unseres Outreach-Teams in den Dörfern ausgelesen. Meist werden schwierige bis sehr schwierige Fälle für mich aufgeboten. (--!!?)
Der 45-jährige Mann mit Armamputation vor ca 15 Jahren wollte eine Prothese mit Fingergelenken, um Motorradfahren zu können. Man rate was ich diesem Mann erklärte – in einem Bundesstaat wo noch so viele Fälle mit Kinderlähmung (gottlob kaum neue Fälle, aber bereits bestehende) und Cerebrale Lähmungen (CP oder Spastiker) zu versorgen sind.

Einen kleinen Jungen mit einer Skoliose (Wirbelsäulenverkrümmung) von über 90° musste ich leider zur Versorgung ablehnen. Ab ca 40-45° sind nur Operationen zur Versteifung der Wirbelsäulenabschnitte hilfreich. Die Mutter musste mit ihrem Kind den mehrstündigen Heimweg mit dem Bus unverrichteter Dinge wieder antreten.

                
Frontalansicht                                Seitenansicht

Den 19jährigen jungen Mann, der bei einem Zugunglück beide Beine oberhalb der Knie verloren hat, steht mit unserer Hilfe wieder auf 2, wenn auch künstlichen, Beinen. Das Zugunglück, so wie ich das verstanden habe geschah, weil er sich aussen am überfüllten Zug hingehängt hat, und dann runterfiel und unter die Räder kam. Der Weg zu den ersten Schritten ist aber noch mit viel Mühe und Arbeit zusammen mit unserer Physiotherapie verbunden. Auch das An-Abziehen der Prothesen, das Aufstehen aus dem Sitzen braucht Zeit und Energie. Solche hier verwendete kostenintensiven Prothesen- Kniegelenke führe ich stets im Gepäck mit. Es sind geschenkte, gebrauchte Module aus der Schweiz, die ihren Dienst in Indien noch lange tun können.

Shameem, unser in der eigenen Werkstatt angelernte Orthopädist, wurde von mir diesmal intensiv in der Beinprothetik unterwiesen. Die Giessharztechnik hat er bereits letztes Jahr erlernt – und so kommt nun ein weiteres Element dazu: der Aufbau einer Beinprothese. Ich werde ihm nicht die Gesetze der Biomechanik beibringen können (mangels meiner Geduld und seiner schulischen Vorbildung), vertraue aber auf sein „Gschpüür“ für die Orthopädie-Technik, welches er zweifelsfrei hat.

Beinprothesen im Rohbau

Am Finish von Orthesen bin ich seit Anbeginn meiner Tätigkeit im KIRAN am Kämpfen. Diesmal ordnete ich an, dass eine NEUE Orthese komplett auseinandergenommen werden musste um ein tadelloses Finish hinzukriegen. Davor allerdings liess ich alle gesichteten Schönheitsfehler teamintern aufzählen. Daraus resultierte auch eine 6-Punkte Finishing-Checkliste, nach welcher nun die Hilfsmittel durch ein zweites Augenpaar innerhalb des Teams kontrolliert werden „müssen“. Das geht nämlich schon - wie die Bilder beweisen!
- saubere Vernietung
- abgerundete Metallschienen
- saubere Kunststoffkanten
- beide Orthesen gleich hoch

Neben den ganzen Werkstattmaterialien und Prothesenpassteilen gelangten auch diesmal wiederum 2 brauchbare Rollstühle aus der Schweiz nach Varanasi. Zwar ein „Cheibechrampf“ diese herumzuschleppen, am Extrabelt in Delhi zu suchen, ins Taxi zu nehmen für einen kurzen Hotelschlaf, dann zurück zum Airport, wieder einchecken in der Hoffnung auf etwas Wohlgesinnung wegen Übergepäck in Indien. Das „Dankeslächeln“ beim Eintausch gegen den alten Rolli entschädigt für Vieles. Dank auch an meine Frau Silvia, die sich jedes Jahr bereit erklärt, wieder so einen Rolli anzuschleppe.

    
Vorbereitungen zuhause

Bilanz dieses Einsatzes:
- ich erkenne, dass die Routinearbeiten an Orthesen sehr gut selbständig gemacht werden.
- die Kunststoffverarbeitung klappt prima
- Giessharzverarbeitung wird auch künftig wegen der Luftfeuchtigkeit während vieler Monate ein paar Probleme bergen
- am Finishing werden wir noch lange arbeiten
- die fehlenden Grundkenntnisse der Mathe* kann ich nur teilweise etwas nachschulen
(*so habe ich diesmal den Kreis, dem runden Fladenbrot zur Erklärung sei Dank, den rechten Winkel und ein paar Abweichungen davon erklärt und wiederholt durchgearbeitet)

Danke der Leitung der ABZ, mir diese Einsätze zu ermöglichen.

Hampi Stastny 27.Oktober 2011